Es gibt Dinge im Bergsteigerleben, die sind für viele andere gar nicht vorstellbar. Es wäre auch gelogen, wenn ich sagen würde, ich hätte nur annähernd eine Ahnung gehabt von Simon´s Vision, die er gemeinsam mit Wu endlich einmal verwirklichen wollte. Ich habe es dann einfach mal mit den Eckdaten probiert: Hochkönigmassiv-Hagengebirge-Tennengebirge, 24 Stunden, voraussichtlich 60 Kilometer und geschätzte 6000 Höhenmeter bergauf und auch wieder bergab, also über 12.000HM insgesamt. Aber ich gebe es zu, ziemlich schnell wurde diese Vision für mich UNvorstellbar und noch weniger greifbar!
Alles was die Zwei dazu benötigten, war ein gewitterfreies Wochenende mit gemäßigten Temperaturen.

Sie haben leider beides nicht geschenkt bekommen, sind aber trotzdem in der vergangenen Nacht von Freitag auf Samstag (sprich: 03.08. 00:00 Uhr) aufgebrochen! Gestartet vom Tal weg, vom Gasthaus Reitsamer im Imlau (524m), Pfarrwerfen, habe ich die Zwei stellvertretend auch für Heli in den noch jungen Tag ziehen lassen. Voll motiviert ging´s los in Richtung Hochkönig (2941m) – nicht wissend was die nächsten 24 Stunden wirklich für sie parat halten sollten.
Parkplatz Reitsamer Hof, Imlau-Pfarrwerfen 00:00Uhr
Die ersten nächtlichen Stunden verliefen zügig und ohne weitere Komplikationen. Vom Tal aus zur Mitterfeldalm, weiter auf den Hochkönig zum Matrashaus.
Der richtige Weg kurz nach der Mitterfeldalm

Zum Video: Aufstieg Richtung Hochkönig

Auch die Temperatur war mehr als angenehm. Mit dabei CEP Running Socks 2.0 und die Haglöfs Intense Shorts, die Wu für dieses Projekt nutzen und ausprobieren wollte. Nach nur 05:04Std. und vor Sonnenaufgang standen beide am Matrashaus des Hochkönigs und haben damit die ersten 2500 HM in den Beinen.

Zum Video: Update 1.0
Weiter ging es in Richtung Hochseiler, über die „Übergossene Alm“ zum Herzogsteig, der die beiden zur Hochtorscharte (2293m) führte.
Übergossene Alm am Hochkönig
Trinken auf der Übergossenen Alm!
Ab der Hochtorscharte ging es über den Bohlensteig hinunter in den Talschluss des Blühnbachtal, wo bereits Stefan Winter auf die Zwei wartete.
Abstieg über Bohlensteig, Blühnbachtal
Abstieg Bohlensteig
Gemeinsam ging es zur Eckberthütte, für einen Schuhwechsel, Trinken und Essen und einfach mal kurz „Pause“ machen. Bis dahin wurden bereits beachtliche 2700 HM zurückgelegt. Danke an die Familie, die gerade auf der Eckberthütte Urlaub macht, die den beiden noch Melone gegeben und eine Frühstückseinladung ausgesprochen haben. Leider haben sie dankend ablehnen müssen, auf Grund eines straffen Zeitfensters. Auf ging es also zur zweiten Etappe des Tages: Hagengebirge! Auf Forstwegen ging es dann Richtung Verbundsteig, eingedeckt mit ausreichend Wasser, da die nächsten Höhenmeter auf das Hagengebirge auf Grund der Sonneneinstrahlung ziemlich heiß werden sollten.
Simon zeigt, wo es lang geht – auf das Hagengebirge!
Der Verbundsteig zeichnete sich als mentale Herausforderung vor allem für Wu ab. Durch die Ausrichtung des Steiges glich das Gehen eher einer „LIVE-Röstung“, laut Wu´s Ambit2 waren es über 34 Grad. Generell bietet der Steig überwiegend hohe Gräser, steile und ausgesetzte Passagen sowie loses Geröll. Daher ist Orientierungssinn und Trittsicherheit unbedingt erforderlich. Hitze macht beiden extrem zu schaffen und die ersten kleinen Zweifel am Projekt traten auf.
Aufstieg Verbundsteig aufs Hagengebirge
Simon auf dem Verbundsteig
 Kurz darauf hat Wu schon die ersten Probleme mit den Füßen bekommen. Zitat: „Mein kleiner Zeh ist aufgeplatzt in der Hitze wie eine Käsekrainer“. Da Simon zumindest auch durch die Hitze beeinträchtigt war, haben beide das Geh-Tempo etwas minimiert. Daher kamen Sie auch erst eine Stunde später, gegen Mittag, am Hagengebirgs-Plateau an und haben sich eine kurze Pause an einem Schneefeld nach einer der Verbundhütten genehmigt. Leider ist die Quelle an der Verbundhütte versiegt gewesen.
Schmelzwasser sammeln

Zum Video: Update 2.0

Der weitere Weg ist schnell erklärt: Komplett übers Hagengebirge, entlang des Verbundsteigs, in Richtung Tristkopf (2210m). Laut Simon, sollte es eigentlich ganz schnell gehen. Es stellte sich aber als endlos langes Auf und Ab heraus. Zu allem Übel mussten beide nach dem Hochwiessattel auch noch 500HM zur nächsten Verbundhütte absteigen um dann weitere 400HM wieder hinauf zum Hochtor aufzusteigen.
Hochwiessattel mit Blick nach Golling
Hochtor – Simon ganz leicht entnervt!
Die Aussicht: Endlich der lange und grausame Abstieg hinunter zum Schotterwerk Sulzau. Zitat Simon: „Das ist das grausamste Stück der ganzen Runde. Ein nicht enden wollendes Bergabgehen. Lieber 10.000HM bergauf, als diese 1400HM runter“ Aber und das war vielleicht einer der wenigen Lichtblicke des Tages, unten haben Heli und ich mit einer ausgiebigen Labestation auf die Zwei gewartet. Hier nur ein Auszug der Gedankengänge der Zwei beim Abstieg: „Ich nehm mir das Leben“, „Ich hab Angst, dass sich meine Knie aus Trotz verknöchern, damit sie nie wieder bergab gehen müssen“ „Ich bring mich um, ich bring mich um, ich bring mich um“ „Gott sei Dank, unten gibt es endlich was g´scheites zu essen“ Nach mittlerweile über 4000 HM in den Beinen und durchgehend 30 Grad, haben beide schon reichlich Federn gelassen und da darf man dann auch schon mal ein bisschen durchgenudelt ausschauen. Das sahen sie nämlich, als wir sie unten in Empfang genommen haben. Damit waren 2/3 des Projekts bereits geschafft.

 

Mhmmmm – Labestation Nr. 2, Schotterwerk Sulzau
Unten haben wir erst einmal die Camelbags aufgefüllt und erste schlimme Blasen an den Füßen „fachmännisch“ verarztet. Leider war unsere wirkliche Ärztin eher damit beschäftigt, lustige Fotos von unschönen Füßen zu machen, als wirklich ärztliche Hilfe zu leisten. Sie fand sogar, dass Wu´s Füße eher nach abgestorbenen Zehen aussahen, erkannte dann aber doch, dass es lediglich ganz viel Dreck und Staub war. 🙂
So schaut das dann aus: Der „Schimpihax“!
Rund eine halbe Stunde haben wir unsere Männer versorgt. Nudeln und Bananen und gaaaaaaaaaaaaaanz viel Flüssigkeit. Cola, RED BULL, O-Saft und Wasser. Interessant wie viel Liter innerhalb kürzester Zeit verschwunden sind. Und dann hieß es ein letztes Mal: „Geht schon Jungs, auf geht´s! Es ist ja nur noch das Tennengebirge, dann habt ihr es doch geschafft!“ Sie sahen schon etwas entgeistert aus, als es in Richtung Stegenwald und dann hinauf auf´s Tennengebirgs-Plateau gehen sollte.
Der letzte Aufstieg – Start Stegenwald-Parkplatz
Next Stop: Happisch-Haus (1925m). Die Uhrzeit: 17:45 und damit nur noch begrenzt Zeit um nicht über die 24 Stunden zu kommen. Aber die Motivation war schon ziemlich gering und so ertappten sich beide bei Gedanken wie: „Super, schon wieder die Sonne im Rücken“, „Hoffentlich geht die Sonne bald runter“, „Höre ich denn nie auf zu schwitzen, wo kommt das Wasser noch immer her?“, „Ich kündige Simon die Freundschaft!“, „Ich kann leider nicht mehr weinen, ich habe schon jegliche Flüssigkeit ausgeschwitzt!“. Mit der Sonne im Rücken bei noch immer 30 Grad, sind dann beide den steilen Steig zur Steinernden Treppe und schlussendlich zum Happisch-Haus angetreten. Den absoluten Tiefpunkt von Wu gab es dann kurz vor der Steinernden Treppe. Dank aufmunternden Worten von Simon und einen spitzenmäßigen „Mezzo Mix“ ist es nach kurzer Rast weitergegangen.

 

Der Tiefpunkt – kurz vorm Tennengebirgs-Plateau
Gepaart mit dann aufkommenden „Feinz“ haben beide den Turbo eingeschalten und sind nach nur 2 2/3 Stunden auf der Terrasse des Happisch Haus gestanden. Dort angekommen, hat Wu sich erst einmal ein „Gel“ eingeworfen und der Wirt, hat angesichts der späten Stunde den  beiden ein Zimmer angeboten. So Recht gerne wollte er die beiden nicht mehr weitergehen lassen, nachdem beide ihm erklärt haben, dass es noch heute übers Tennengebirge gehen sollte. Laut Wu und Simon: „Die beste COLA unseres Lebens, haben wir in diesem Moment getrunken!“ Dann gab es kein Halten mehr – auf ging es in ständigen Auf und Ab in Richtung „Schafihitn“. Ab dort wurde das Tempo auf Grund von akutem Wetterleuchten rund um die Zwei, auf Anschlag, trotz stetiger Steigung, erhöht. Nach nur 4 1/2 Stunden inklusive Pause erreichten beide die Streitmandl (2350m) von Stegenwald aus.

 

Gipfel Streitmandl  Sa. 03.08. 23:00 Uhr – ab jetzt nur noch bergab
Angesichts der anhaltenden und stärker werdenden Gewitter wurde auch der Turbo für den letzten Abstieg des Tages eingeschalten. Über die Griesscharte ging es in Richtung Mahdegg Alm und zum Parkplatz Unterholz. Wo diese monströse, lange, krasse „Tagestour“ ihr Ende finden sollte. Heli und ich sind den Zwei etwas entgegen gegangen und haben Sie knapp oberhalb des „Kniebeißers“ (alter, steiler Weg hoch auf die Werfener Hütte von der Mahdegg Alm aus) im beginnenden Regen empfangen. Es blieb nur Zeit für eine kurze Umarmung, dann sind wir gemeinsam die letzten Abstiegsmeter schnellen Schrittes zum Unterholz-Parkplatz gelaufen. Beachtlich war die Abstiegszeit von der Eiskapelle bis zur Mahdegg Alm. Da haben die zwei nur 40min. gebraucht. Wahnsinns Leistung, wir waren/sind extrem stolz auf unsere Männer!  Noch immer ist diese Tour für mich nicht vorstellbar, aber jetzt kann ich mir auf Grund der neuen Zahlen ein etwas besseres Bild machen und kann es noch immer nicht fassen: 24Std.05min. 6400HM im Aufstieg, insgesamt über 12.000HM und 63,7KM! Die Daten wurden Anhand der Suunto Ambit 2 und Suunto Core parallel erfasst. Das GPS-Gerät ist auch noch mitgelaufen als dritte Referenz.
Geschafft – Unterholz Parkplatz bei beginnendem Unwetter  So. 04.08. 00:05 Uhr
Tja und nun sitzen sie heute da, die Zwei, ein Lächeln auf den Lippen und stolz auf ihre Leistung. Aber eins ist klar: „So schnell machen wir das nicht noch mal! Vor allem das Hagengebirge wird uns wohl so schnell nicht mehr sehen! Das ist einfach nur ein ewig langer Hatscher!“ Was jetzt als nächstes kommt? Mhmmmm, es werden wohl mehr Höhenmeter, mehr Kilometer und vor allem, es soll noch keiner gemacht haben.
Hier noch ein paar Hinweise, die die beiden los werden wollen: Der Herzogsteig ist größtenteils Absturzgelände und bedarf Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. Genau so ist es am Bohlensteig. Ziemlich loses Gestein und Geröll. Stellenweise Absturzgefahr. Außerdem zum Teil sehr schwierige Wegfindung. Verbundsteig: Sehr ausgesetzt, teilweise ebenfalls sehr schwierige Wegfindung. Auch hier Geröll. Hagengebirge: Wege gut markiert, allerdings so gut wie nie ein deutlicher Steig ersichtlich. Quellen die im Kartenmaterial eingezeichnet sind, sind ausgetrocknet. Das heißt, KEIN Wasser auf einer sehr langen Wegstrecke.

Inspiriert durch eine ehemalige AV-Grenzbegehung Werfens (1992) in sieben Tagen, kam Simon auf die Idee, alle drei Gebirge rund um Werfen zu überschreiten. Nur wollte er sich dafür weniger Zeit lassen und annähernd die Werfener Grenz-Wanderwege abgehen.

   Die ganze Tour im Überblick

Sollte jemand den Wunsch verspüren den beiden nachzugehen, dem sei diese Tour als sehr lohnend und einsam beschrieben und ist in 3-Tages-Etappen empfehlenswert

„Ein großer Dank an Stefan Winter für den Materialtransport zur Labestation 1 und die netten Worte. Genau so an Heli und Sabrina, die uns an der zweiten Labestation versorgt und uns motiviert haben. Danke an alle die mitgefiebert und uns die Daumen gehalten haben.“
„Gott sei Dank ist das erledigt und warum ist das Wochenende schon rum?“