Ein pochender Schmerz in meinem rechten Fuß und unglaublicher Stolz erfüllen mich aktuell, wenn ich an die vergangene Woche zurück denke. Und eigentlich ist noch alles verschwommen, wie bei einem Rausch – sieben Tage lang beim Transalpine Run fühlen sich unendlich lange und doch so wahnsinnig schnell an. Begleitet haben mich dabei sehr viele Emotionen, positive und negative und ich habe wieder einmal viel gelernt über mich. Und ich habe eine intensive Woche mit der besten Teampartnerin, Silke, die ich mir hätte wünschen können erlebt, auf ganz ehrliche und offene Art und Weise. Und das das nicht immer leicht ist, wird mir auch erst währenddessen bewusst. Der Transalpine Run ist mehr als „nur“ Laufen. Wer dieses Etappen-Rennen bestehen will, der braucht neben körperlicher Fitness auch mentale Stärke und Einfühlungsvermögen. Man muss fordern aber auch zurückstecken können. Man muss motivieren können, obwohl man selbst vielleicht gerade am Limit ist. Ein Lächeln zwischendurch ist genau so wichtig, auch wenn man den Tränen nahe ist. Und am Ende trägt der Support um einen herum dazu bei, ob man durchkommt oder nicht. Silke und ich hatten das beste Support-Team, dass man haben kann. Mit Abstand. Tröster, Motivierer, Spaßvögel, In-den-Arm-Nehmer, an jeder Verpflegungsstation ein bekanntes Gesicht, Rund-um-Versorger mit 24 Stunden Service, Lieblingsmenschen, mentale Stütze, Bestärker und mein Hund. Persönlicher Fotoservice auf der gesamten Strecke. Tom und Wu haben gemeinsam mit Luke den besten Job der Welt gemacht: Sie waren einfach ohne wenn und aber für uns da – bedingungslos.

Es sind die Menschen um uns herum

Aber auch viele liebe Wegbegleiter machen einem das Leben während des Transalpine Runs leichter: Allen voran natürlich Fredl und Norbert, Sarah und Ina, Tom und David inklusive Stefan, der Crew von werun4fun, aber eben auch viele neue Freunde. Wir sind hier eine Familie. Das ist wirklich so. Und als wir in Garmisch verfrüht ankommen um die Startnummern abzuholen, bin ich mir alles andere als sicher, dass wir das hier alles schaffen können. Eine denkbar schlechte Einstellung, aber sehr realistisch, denn der TAR (Transalpine Run) gehört zu den härtesten Etappenrennen in Europa. Kleinigkeiten können bereits über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Wir versuchen es zumindest und stehen am Start. Die Nervosität ist wahnsinnig hoch, das uns bevorstehende ist kaum greifbar. Ich denke Silke geht es ähnlich. Auch sie hofft, dass wir es schaffen können, sicher ist sie sich genau so wenig. Auch Wu traut sich nicht wirklich ernsthaft daran zu glauben. Vermutlich ist es Tom, der am ehesten daran glaubt und einige unserer Bekannten und Freunde im Hintergrund.

Etappe 1: Garmisch – Nassereith mit 44 Kilometern und 2400 Höhenmetern

Der Startschuss fällt erst um 09:00 Uhr. Das ist eine angenehme Zeit. Noch ist alles lustig, jeder ist fit. Der Startbereich ist voll, denn auch die Läufer des 2-tägigen Abenteuers Run2 stehen mit am Start. 272 Teams für den Transalpine Run reihen sich in den Startblock ein und wir, Silke und ich. Vorher treffen wir noch auf Carmen D. Carmen hat sich als Überraschung für Silke entschlossen zwei Tage lang unser Abenteuer zu begleiten. Einfach so. Sie ist einfach so angereist, um ums zu supporten. Dabei kannten wir uns noch gar nicht persönlich. Auch ich bin gerührt. Außerdem ist auch Tobi dabei – auch angereist um uns an unserem ersten Tag anzufeuern. Wir stehen bei Fredl und Norbert, unseren Trail-Dinos – quasi ein bisschen wie Papas. Sie sind ruhig und routiniert. Zumindest strahlen sie das aus. Nur kurze Zeit später ertönt der Startschuss. Der Startschuss in die für mich intensivste Woche meines bisherigen Lebens. Und dabei steht auch unsere Hochzeit in drei Wochen bevor. Wir laufen los, etwas zu schnell – richtig angekommen sind wir noch nicht. Wir drosseln unser Tempo und stehen kurz danach im ersten Stau. Den können wir zum Durchatmen nutzen. Ok – wir sind jetzt wirklich hier. Unglaublich eigentlich. Nach Ehrwald kommen wir in stetem Auf und Ab.

Skipiste? Sehen wir da eine Skipiste?

Eine kurze Skipisten-Stelle macht mich schon schwach, mental. Obwohl Carmen uns hier super anfeuert. Alles in allem ist aber eigentlich alles gut. Biberwier und das Marienbergjoch erreichen wir sehr gut in der Zeit. Ich merke allerdings nicht, dass ich bereits sehr unzufrieden und grummelig bin. Irgendwie bin ich gar nicht bereit für das Rennen, zumindest mental noch nicht. Silke nimmt mir immer wieder auch die Stecken ab und versucht mir das Leben zu erleichtern. Ich habe noch gar kein Gespür für alles, aber im Zieleinlauf bereits die ersten 44 Kilometer in den Füßen. Ich möchte eigentlich schnell ins Bett. Das war wie ein Wurf ins kalte Wasser. Willkommen beim TAR. Körperlich geht es uns aber gut. Wir essen was, nutzen die Blackroll und versinken in guten Gesprächen und dann im Bett bereits in Imst. Nassereith hat nicht wirklich viel Schlafmöglichkeiten zu bieten. Dafür haben wir eine wirklich coole Pension in Imst erwischt. Der Schlaf ist erholsam und gut.

Etappe 2: Nassereith – Imst mit 27 Kilometern und 1.333 Höhenmetern

Das Aufstehen fällt noch nicht so richtig schwer und wir gehen motiviert an den Start. Eigentlich ist alles positiv. Als der Startschuss fällt, setzen wir uns in Bewegung. Heute haben wir eine „kurze“ Distanz vor uns. In einem Auf und Ab geht es auf den Starkenburger Panoramaweg, dann nach Sinnesbrunn. Wir laufen offensichtlich an einer Reihe von alten Stollen vorbei. Ich nehme es leider nicht wahr. Nur Wu und Carmen berichten später davon, genau wie Tom. Ich war leider schon zu sehr damit beschäftigt, über die in meinen Augen „Extraschleife“ oder auch „Sinnlosschleife“ rund um Imst nachzudenken. Ich habe ein Talent dazu, mich selbst in einen richtigen Strudel der negativen Gedanken zu reden. Ich sehe dann auch nichts schönes mehr, obwohl die Strecke durchaus sehr schöne Ecken hatte. Damit mache ich es Silke rund um Imst nicht leicht. Ich raube ihr Kraft, die sie eigentlich selber bräuchte. Ich bemerke es nicht, bin keine gute Teampartnerin. Lustig finde ich aktuell auch gar nichts mehr. Wir laufen noch zum Schloss Starkenburg und dann final runter nach Imst. Über Forststraßen – die aber, im Nachgang betrachtet, gut für uns sind. Denn auf Forststraßen machen auch wir Meter.

Forststraßen sind gut für uns

Es gehört halt einfach dazu, aber das will ich zu diesem Zeitpunkt nicht sehen. Im Ziel ist es für einen Moment zwar vergessen, aber so richtig happy sind wir nicht. Die lange dritte Etappe wirft schon ihre Schatten voraus – wir müssen ein gutes Team sein um die ersten Wehwechen zu überspielen und weiterzukommen. Ich selber habe Zweifel, ob wir überhaupt die Cut-Offs schaffen, denn ich bin schon ziemlich müde. Silke geht es vermutlich ähnlich, aber ich weiß es leider gar nicht, weil ich sie nicht einmal gefragt habe. Den Fokus habe ich absolut ungewollt auf mich gelegt und bemerke davon gar nichts. Es ist ein Team-Rennen, aber ich habe noch immer keine Ahnung, wie man ein Team-Rennen bestreitet, trotz eigener körperlicher und mentaler Schwächen. Lange würde es so nicht gut gehen. Ohne viel gesprochen zu haben, fallen wir früh ins Bett. Tom und Wu kümmern sich die ganze Zeit rührend um uns. Außerdem verabschieden wir uns leider schon wieder von Carmen – der emotionalste und sensationellste Besuch, den wir uns vorstellen konnten. Danke.

Etappe 3: Imst – Mandarfen mit 51 Kilometern und 3.163 Höhenmetern

Die Königsetappe reißt uns sehr früh aus dem Bett. Zurecht, denn mit über 51 Kilometern würden wir lange unterwegs sein. Wir sprechen nicht viel, nervös sind wir beide. Eigentlich hätten wir uns schon stärken sollen. Silke tut es bei mir die ganze Zeit. Ich grummel in mich hinein. Den richtigen Flow habe ich noch nicht. Frage mich die ganze Zeit was die Leute nun wirklich an diesem Rennen finden. Ich bin einfach nur müde und kaputt. Von Genießen kann schon keine Rede mehr sein. Meine Beine sind richtig schwer als wir uns aus Imst raus bewegen. Meine Motivation eigentlich schon auf dem Nullpunkt. Silke merkt das, versucht mich aufzumuntern. Die ersten Höhenmeter gehen wir im Gänsemarsch und darüber bin ich ziemlich glücklich. Dann folgen einige Forststraßen auf denen wir tatsächlich Kilometer spulen und voran kommen. Ich sehe das noch nicht so. Die vielen Kehren hinauf zur V2 machen mich wahnsinnig. Ich heule los. Ich mag keinen Meter mehr gehen, kann mich kaum beruhigen. Silke zieht mich mental, dann kommt uns Tom entgegen.

Achterbahnfahrt der Gefühle

Ich fange mich wieder, versuche das stupide Gehen zu ignorieren. Ab der V1 folgen richtig geile Trails auf dem Pitztaler Höhenweg. Natürlich werden wir damit auch langsamer, aber ich fühle mich eindeutig wohler. Obwohl ich körperlich schon sehr am Limit bin. Silke und ich schaffen es wieder etwas mehr mit einander zu reden. Aber irgendwie komme ich nicht richtig aus mir raus, äußere mich nicht klar. Und bin nur noch froh, als wir endlich V3 erreichen. Die ganzen schönen Seiten habe ich schon wieder verdrängt. Ich weiß nicht was ich hier eigentlich tue und warum. Ich sollte diese Frage schnellstmöglich für mich klären. Silke bleibt immer ruhig und versucht die ganze Zeit zu unterstützen wo sie nur kann. Wobei ich ehrlich zugeben muss, dass der Trail über den Pitztaler Höhenweg fantastisch war. Ich war nur schon ganz schön paniert um das noch zu genießen. Der Downhill ist fordernd, läuft aber ganz gut von der Hand.

Die Lokomotive des Transalpine Run 2018

Die restlichen acht Kilometer über den Radlweg werden emotional wieder hart. Aber Silke und ich bilden eine Lokomotive. Sie ist der Motor vorne weg und beidseitig halten wir unsere Stecken zusammen. Wir gehen im Gleichschritt und kommen richtig gut voran. Die letzte Verpflegungsstation läutet auch die letzten Kilometer des Tages ein. Wir gehen, aber zügig. Wir werden überall angefeuert: aus dem Auto heraus von Fredl und Norbert, beim Vorbeifahren von Tom und Wu, vom Balkon aus von Tom und Stefan – und dann setzen wir die letzten Schritte über die Ziellinie der Königsetappe. Richtig viele Emotionen spüre ich nicht mehr. Ich will nur sitzen und schlafen. Wir essen dieses Mal nicht bei der Pastaparty, sondern gleich im Restaurant. Rein bekommen wir zwei nicht wirklich viel. Richtig viel sprechen tun wir auch nicht. Vier weitere Etappen überstehen wir nie, ist der Gedanke, der mir beim einschlafen durch den Kopf geht. Die Nächte werden auch immer „verkrampfter“ – ich weiß nicht wie ich mich hinlegen soll. Ich traue mich noch immer nicht darüber nachzudenken, dass wir den TAR vielleicht wirklich schaffen könnten. Den besten Support haben wir jedenfalls – einfach den besten, den man sich wünschen kann und eine der ganz großen Stützen unseres TARs. Heute haben 50 Teams bereits aufhören müssen.

Etappe 4: Mandarfen – Sölden mit 28 Kilometern mit 2.384 Höhenmetern

Ruhetag – quasi. Was sind schon 28 Kilometer? Diese Etappe ist mit Sicherheit die Etappe, die einfach jeder unterschätzt hat. Mir hat sie so oder so schon Angst gemacht und auch Silke schwebt die Höhenlage im Kopf rum. Fast 3000 Meter erreichen wir heute. Silke reagiert leider heftig auf 3000 Meter Höhe mit Atemnot. Ein sehr bescheidendes Gefühl. Es wird die für uns alles entscheidende Etappe werden, die, die uns beide mehr als fordert und die sehr, sehr ruhig wird. Inzwischen haben wir einige unausgesprochene Dinge in der Luft, die sich zu den ganzen körperlichen Beschwerden dazu gesellen. Und ich bin nach wie vor auf mich fixiert. Habe Silke nicht wirklich im Blick. Leider. Und ich jammere bereits zum Start: Wieso müssen wir wirklich erst zum Rifflsee rauf, drum herum und dann wieder runter nach Mandarfen bevor wir dann in Richtung Sölden starten. Mir kommt es wieder wie eine „Sinnlosschleife“ vor. Das bringe ich zum Ausdruck und kille damit jegliche Motivation. Erneut. Ich mache Silke das Leben wirklich schwer. Der Rifflsee zeigt sich von seiner schönsten Seite, die Stimmung an der Strecke ist gut. Im Downhill wieder runter blockiert zum ersten Mal meine rechte Wade. Die erste Labestation erreichen wir relativ knapp von der Zeit her. Wir werden eingeschmiert, ziemlich cool. Und dann folgt ein wahnsinnig schöner und cooler Aufstieg. Es wird technischer und höher. Alles wird langsamer, die Höhe macht sich bei einigen bemerkbar. Silke ist ein ganzes Stück vor mir als wir die Braunschweiger Hütte erreichen. Sie zieht durch, will die 3000 Meter Marke schnell hinter sich bringen, oder vielleicht einfach vor meinen negativen Gedanken flüchten? Ich habe keine Power darüber nachzudenken.

Auf einen Rückschlag folgt meistens ein Vorwärts kommen, oder?

Hinter der Braunschweiger Hütte geht es noch ein ganzes Stück weiter hinauf. Tom wartet bereits oben auf uns und auch Wu. Silke holt die Höhe voll ein. Sie tut mir leid. Ich habe allerdings keine aufmunternden Worte für sie, sondern verfalle in meinem eigenen Schmerz. Das kurze Stück über den Schnee runter und dann zur Labestation Nummer 2 bringen wir sehr still hinter uns. Kein Zusammenhalt. Auch nach dem Verlassen der Labe will jeder nur noch runter. Für die Umgebung habe ich kaum einen Blick, sehr wohl aber für den letzten anstehenden Aufstieg zum Schwarzsee über die Piste. Ich bin durch. Mir treibt es das Wasser in die Augen – ich will nicht mehr. Der darauffolgende Downhill bis nach Sölden wird lang. Sehr lang, still und unglücklich. Das Einlauffoto dieser Etappe nach Sölden wird von allen außenstehenden Personen mächtig geliebt, dabei ist es der Zieleinlauf, der für uns als Team der entscheidendste ist. Unser persönlicher Knackpunkt, Entscheidung über alles. Ich weine direkt, bin dermaßen leer. Unsere Jungs sehen sofort das etwas nicht stimmt. Sie vermuten wir haben uns gestritten. Haben wir nicht. Haben wir wirklich nicht. Aber wir haben geschwiegen. Einziges Highlight an diesem Tag waren wieder einmal Tom und Wu, die für uns eine Massage besorgt haben. In einem 5 Sterne Hotel, fernab der TAR-Hektik. Nur für uns, ganz privat. Purer Luxus. Und am Ende des Tages ist es Silke, die die Größe hat und das Gespräch zu mir sucht. Sie öffnet mir die Augen, fragt mich, warum ich hier eigentlich mitmache und wie wir zusammen besser funktionieren. Und dass sie so nicht weitermachen kann, dass sie nicht sie Kraft hat, für uns beide permanent stark zu sein, ohne dass ich auch nur irgendetwas zurück gebe. Das ist eben auch TAR, ein Teambewerb, bei dem man nur zusammen stark sein kann. Ich schlafe die Nacht schlecht, alles arbeitet in mir, nicht nur meine Muskeln. Und ein Schalter stellt sich um.

Etappe 5: Sölden – St. Leonhard im Passeiertal mit 38 Kilometern und 2.218 Höhenmetern

Die Motivation ist da. Die Motivation das Ding hier mit Silke zu rocken. Beim Frühstück ist es noch ruhig, aber es kribbelt. Vielleicht haben wir eine wirklich Chance hier wirklich durchzukommen. Gemeinsam, mit meiner Freundin Silke. Ich habe Silke sehr gerne und es tut mir sehr weh, dass sie mir erst die Dinge so sagen musste, bis ich etwas ändere. Auf der anderen Seite haben auch nur die Menschen die Chance dazu die mir wichtig sind. Wir sind ein Team und wir werden den TAR schaffen. Auch wenn mein Körper aktuell andere Bände spricht. Vor allem höre ich mit dem Jammern auf. Die Etappe führt uns auf richtig schönen Trails raus aus Sölden hinauf in Richtung Timmelsjoch. Für mich persönlich ist diese Etappe bereits zu Anfang eine der schönsten Etappen. Heute sind wir wirklich stark unterwegs zur ersten Verpflegungsstation und holen auf. Die Stimmung ist gigantisch. Vielleicht liegt es an der Tatsache dass wir heute Südtirol erreichen und damit guten Wein, Pizza & Pasta. Auf das Timmelsjch werden wir quasi getragen durch das laute Anfeuern so vieler lieber Menschen. Ich bekomme zum ersten Mal seit Tagen Gänsehaut vor Begeisterung. Bin ich jetzt endlich im TAR angekommen? Oder wir? Der Downhill auf die Südtiroler Seite verläuft schon nahezu flowig, Tom fängt uns unten schon wieder ab. Bis zur ersten Verpflegungsstation läuft es fast „einfach“ und auch Wu ist schon da. Ich nutze jede Gelegenheit mich hinzusetzen. Luke muss ich auch kuscheln.  Dann geht´s weiter über einige Serpentinen auf der Straße hinauf. Aber es stört mich nicht mehr. Es ist mir wurscht. Ich habe einen Blick für die Umgebung. Anstrengend bleibt es trotzdem. Müde bin ich auch. Aber irgendwie passt der Kopf. Ich agiere wieder mit Silke. Wir erzählen uns was. Und wir meistern unseren Weg auch zur letzten Verfolgungsstation des Tages. Können wir es tatsächlich schaffen? Tag 5 ist fast vorbei, dann sind es ja nur noch 70 Kilometer bis nach Brixen. Der Zieleinlauf ist anstrengend, da es leicht steigend ist, aber auch diese Etappe haben wir im Sack. Unglaublich. Meine rechte Beinachse ist allerdings schon durch und läuft nicht mehr rund. Ich mache mir Sorgen. Wir sprechen am Abend ehrlich, denn auch Silke hat mit Ihrer Schwellung auf dem Schienbein zu kämpfen. Ein Stein hat sie genau am zweiten Tag erwischt. So ein Scheiß. Wir schlafen frühzeitig und sehen uns zum Frühstück wieder.

Etappe 6: St. Leonhard – Sarnthein mit 34 Kilometern und 2.524 Höhenmetern

Wir stehen am Start. Tatsächlich. Wir versuchen es. Aufgeben geht immer, oder eben doch nicht? Wir reißen uns zusammen und wenn wir die Etappe gehend absolvieren. Das können wir schaffen. Die ersten Meter laufen wir sogar – fast rund. Aber wir bleiben immer in Bewegung. Im Kopf ist das Ziel schon zum greifen nah, aber aktuell trennen uns eben doch noch einige Kilometer. Wieder sind Tom und Wu überall auf der Strecke und betreuen uns. Meistens reicht schon ihre Anwesenheit für ein paar Minuten. Zur ersten Verpflegungsstation sind es reichlich Höhenmeter und dann eine lange Querung bei der wir auf dem Weitwanderweg E5 unterwegs sind. Heute tut es Silke mächtig weh, das Schienbein ist geschwollen. Im ersten Aufstieg geht es mir heute besser. Trotzdem versuchen wir beide einen Weg zu finden bei dem es einfach weniger weh tut. Die erste Verpflegungsstation erreichen wir schon als eins der hinteren Teams, aber das ist uns wurscht.

Die Platzierung wird irgendwann egal

Nach einer Stärkung geht´s direkt weiter über den Gebirgsjägersteig hinauf zur Oberen Scharte zwischen Hirzer und Hönigsspitz. Es wird steil und technischer und die Seil-versicherte Passage ist zwar anstrengend, aber macht richtig Spaß. Oben erwartet uns das Party-Empfangskomitee, einfach nur cool. Tom ist inzwischen voraus gelaufen und hat noch schnell einen der Gipfel mitgenommen bevor er bereits im Downhill einige Meter macht. Wir kommen nach, nicht ganz so flott, aber stetig. Es folgt eine lange Querung des Gebirgszugs zum Bergsee und dann noch einmal kurz hinauf. Es folgt noch einmal eine längere Querung zur nächsten Scharte. Wunderbare Trails – allerdings kämpfe ich gerade mit der Müdigkeit und habe das Gefühl einzuschlafen während des Gehens. Ziemlich unangenehm. Die dritte Verpflegungsstation erreichen wir dann nach einem Mini-Downhill, Tom wartet bereits auf uns. Eigentlich nur noch 10 Kilometer ins Ziel – es sollten die längsten 10 Kilometer des Rennens werden. Wenn man körperlich wirklich nicht mehr fit ist, dann können sich 10 Kilometer wirklich ziehen.

Kilometer die nie enden wollen

Eigentlich waren es echt schöne 10 Kilometer, aber sie wurden kaum weniger. Sehnsüchtig warteten wir auf die Schilder, die die „nur noch 5 Kilometer“ und weniger anzeigen. Ein kleiner Almabtrieb trieb dann auch noch Silkes Herzschlag zum Schluss ziemlich in die Höhe. Aber wir sind ohne Probleme an den Kühen vorbei gekommen. Einen Schluck Cola gab es auch noch und dann liefen wir nach einem mega steilen Downhill über Wiesen in Sarnthein ein. Unglaublich. Wir beide haben den sechsten Tag überstanden, ganz offiziell in der Zeitwertung. Unfassbar. Wu und Tom müssen leider noch einmal los. Sie haben Toms Auto bei der Station 1 stehen gelassen, das muss jetzt natürlich auch noch nach Sarnthein. Also gehen Silke und ich zur Massage, hängen ab und genießen das Risotto bei der Pastaparty. Wieder einmal haben wir großen Hunger, bekommen aber kaum etwas rein. Wir leben in einem wiederkehrenden Tagesablauf der TAR-Welt, wer hätte das gedacht. Als die Jungs wieder kommen, machen wir uns dann auf den Weg zur Pension. Die hat uns kurzzeitig dann fast noch einmal so stark gefordert wie die Etappe selbst. Aber trotzdem Danke an die liebe Dame des Hauses. Silke musste sich vorm Einschlafen übergeben, ich bin bereits mit Handy in der Hand und meinen Klamotten am Körper, das erste mal um 20:00 eingeschlafen. Wu hat mich noch mal wecken müssen, damit ich wenigstens duschen gehe. Nur noch einmal, nur noch einmal. Das schaffen wir auch noch. Irgendwie.

Etappe 7: Sarnthein – Brixen mit 36 Kilometern und 2.118 Höhenmetern

Das Aufstehen ist schwer. Sehr schwer und mühsam. Ich fühle mich schon so leer, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, noch einmal über 2000 Höhenmeter zu bezwingen. Von den Kilometern mal ganz abgesehen. Aber am Ende dieses Tunnels wartet das Finisher T-shirt, eine Party und die Gewissheit, diese harte Trailrunning-Woche wirklich überstanden zu haben. Jetzt nicht an den Start gehen, ist auch keine Lösung. Also sitzen wir bei unserem spärlichen Frühstück und raufen uns zusammen. Das schaffen wir auch noch, egal wie. Generell sind wir noch sehr ruhig, eher etwas ungläubig. Heute werden wir wandern, so richtig. Mit laufenden Bewegungen werden wir uns zurück halten. Im Startbereich laufe ich etwas panisch zu Sandra von den Outdoor-Physios und bitte sie, mich irgendwie zu tapen, dass ich irgendwie den Tag überstehe. Als erstes bekomme ich ein Tape für meinen Kopf – ein kleines rotes Herz auf meinen linken Oberschenkel. Das beruhigt erst einmal. Und dann „verarztet“ mich Sandra mit entsprechendem Tape am rechten Bein. Das sollte passen. Müde und gleichzeitig aufgeregt reihen wir uns in unseren Startblock ein.

Rennstart ohne Renn-Briefing – heute dürfen wir einfach genießen

Ein Renn-Briefing gibt es heute nicht, nur ein paar warme Worte: „Genießt die Strecke. Genießt diese letzte Etappe in vollen Zügen, wir sehen uns in Brixen“ bekommen wir vom Renn-Chef. Das werden wir versuchen und laufen los. Ein kurzes Stück die Straße hinauf, dann geht es über die Forststraße ein ganzes Stück Richtung Reinswald. Wir sind im Power-Hiking Modus, bergab lassen wir es etwas rollen. Zur ersten Verpflegungsstation kommen wir so sehr gut und natürlich stehen auch hier unsere beiden Herren und Luke. Es tut so gut. Und auch die ganzen Glückwünsche vor dem Rennen und währenddessen kommen mir ins Gedächtnis. Ein bisschen laufen wir heute auch für die, die es leider nicht geschafft haben. Also marschieren wir weiter, immer weiter Richtung Brixen. Es bleibt ein Wandertag, aber ein schöner. Um uns herum immer wieder vertraute Menschen, wir sind eine Familie geworden. Wir sind TAR geworden. Vor dem ersten kurzen Downhill zur zweiten Verpflegung mache ich kurz halt bei der Medical Crew – ich klebe mir meine kleine Blase am kleinen Zeh ab. Eine Wohltat. Die Verpflegungsstation Nummer 2 machen Silke und ich alleine. Eine der wenigen Stationen, die wir ohne unsere Männer erleben.

Nicht mehr weit und doch so weit nach Brixen

Wir gehen weiter. Wieder bergauf. Noch einmal 600 Höhenmeter, die letzten 600 Höhenmeter für diesen Transalpine Run 2018. Fast schon traurig. Das Gelände ist weitläufig und wunderschön. Zu unserer rechten Seite zeigen sich die Dolomiten. Sie sind schon sehr schön, aber so richtig für sie Zeit nehmen können wir nicht. Am höchsten Punkt des Rennens steht bereits Tom und uns fällt ein Stein vom Herzen. Geschafft. Jetzt nur noch bergab. Eigentlich ein leichtes Spiel. So leicht dann aber auch nicht mehr. Wir müssen wieder Gehen, sogar tippeln funktioniert nicht so richtig. Wir erreichen das „nur noch 10 Kilometer to go“-Schild und die Terrasse der Hütte mit einem Teil des TAR-Teams, die hier oben gerade gut essen. Wir schummeln uns vorbei und treffen auf einen Teil der Medical Crew, die Jungs sind und waren immer überall. Danke dafür. Und Wu mit Luke ist auch hier oben. Im Downhill nach Brixen sollen wir schön vorsichtig sein, sagt er und nichts mehr riskieren. Wir halten uns dran, aber er schrottet leider seine Fotokamera bei einem Sturz. Ärgerlich. Aber das alles kann uns nicht mehr aufhalten. Die verbleibenden Kilometer werden weniger und die letzte Labestation schreibt es dann schwarz auf orange – 5 KM to go.

Team 123 schafft den Transalpine Run 2018 – Silke und ich

Unglaublich, langsam wird es uns bewusst, dass wir das Ding hier wohl wirklich schaffen werden. Wir fangen wieder an zu tippeln, obwohl ich die ganze Zeit meine es nicht mehr zu können. Wir werden wieder flotter und nehmen Fahrt auf. Brixen, wir sind tatsächlich nach sieben langen Tagen in Brixen. Wer hätte das gedacht, wir beide jedenfalls nicht. Und auf dem letzten Kilometer können wir strahlen, zwar nur kurz, aber wir sind da. Die Zeitmatte und Silvia von Salomon kündigen uns bereits an. 3, 2, 1 – geschafft. Mein erster Gedanke: Gott sei Dank, kein einziger Tag geht mehr. Erschöpfung, Freude, Hunger, Durst, Müdigkeit, Leere, Stolz, Silke – noch nie habe ich so viele Emotionen und Gefühlslagen in einem Moment gespürt. Und dann bekommen wir die Finisher-Medaille, die, von der wir nie geglaubt haben, sie zu bekommen. Die Medaille die mehr als hart erkämpft ist und die, die mich als Mensch so weit gebracht hat. Denn Transalpine Run ist mehr als nur ein Lauf. Jetzt weiß ich wovon immer alle sprechen. Und dann will ich mich auf einmal ganz schnell hinsetzen. Wu ist da, nimmt mich in den Arm, er ist stolz. Tom ist da und gratuliert. Er ist stolz. Und ich weiß gar nicht, wie oft ich noch sagen werde, dass die beiden einen ganz entscheidenden Erfolg an unserem Erfolg haben. Ich glaube dessen sind sie sich nicht bewusst. Es ist vorbei: Sieben Tage laufen, 260 Kilometer und 16.500 Höhenmeter, von Garmisch-Partenkirchen nach Brixen, Silke und ich, ich und Silke sind Finisher des Transalpine Run 2018, Platz 10 bei den Frauen-Teams mit 58 Stunden und 2 Minuten Gesamtlaufzeit. Verrückt.

Eine Party die ist lustig, eine Party die tut weh

Ich gebe zu, ich habe mich die ganze Woche extrem auf die Finisher-Party gefreut. Extrem. Und mir war auch bewusst: Es reichen vermutlich zwei Gläser Weißwein für einen Vollrausch in meinem jetzigen Zustand. Aber das noch bessere daran ist, dass es vermutlich allen so geht. Die Verleihung der Finisher-Shirts ist schön gestaltet. Wir sitzen mit unseren ganzen lieben Menschen zusammen. Ich bin mächtig stolz das Finisher-T-shirt anzuziehen und ich weiß Silke geht es genau so. Das nimmt uns keiner mehr! Ich kann nur sagen, dass die Party zwar kurz war, wir aber die Tanzfläche voll gerockt haben. Bis ich dann eben fertig war und gar nichts mehr ging. Meine Füße wollten nicht mehr. Geil.

Und sonst so?

Ja, es stimmt, dass die Woche mit und beim Transalpine Run eine eigene Welt ist. Man taucht ein in eine Seifenblase. Man vergisst alles um einen herum. Und man kommt an seine Grenzen, körperlich und mental. Nein, es ist nicht immer alles klasse und lustig. Ja, wir sind müde und ausgelaugt. Und ja, ich glaube meine Laufschuhe sehen mich jetzt länger nicht mehr. Ich brauche eine Pause, ich gebe es zu. Ich bin froh es geschafft zu haben und diese Woche mit Silke wird unvergesslich bleiben. Den Transalpine Run machen aber auch die Menschen zu etwas ganz besonderen, die einen begleiten. Ob die ganze Zeit oder nur stellenweise. Noch nie zuvor habe ich Support an der Strecke so wahr genommen wie hier. Ich möchte jetzt auch gar nicht anfangen jedem einzelnen namentlich zu danken, sondern möchte meinen Dank einfach Euch allen aussprechen. Einfach allen, die diese Woche so besonders in jeglicher Hinsicht gemacht haben. Danke.

Unter diesem LINK: Findet Ihr noch viele Bilder von den vielen coolen Teams beim GORE-TEX Transalpine-Run 2018

Ganz besonders freue ich mich über das Video von Benjamin bzw. der Crew von werun4fun, dass wir hier auch gerne mit Euch teilen wollen. Unermüdlich ist der Benjamin und unzerstörbar. Sogar die Kamera lief immer mit. Danke. (Zum ersten Mal bin ich bei einem Event-Video zu sehen, sogar mehrmals mit Silke)

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